Warnehmen und Sprechen

 

Berkeley beschreibt, was er sieht und fühlt, mit Worten, die sich den Termini der Begriffsphilosophie, bzw. der Analytischen Philosophie entziehen. Er wollte sich mit seinen Worten dem Mainstream einer Philosophie entziehen, die er vor allem für „wortgläubig“ hielt. Die Wortgläubigkeit verführte auch zu einer Fülle von Irrtümern, die hinter jedem Wort etwas Bezeichnetes vermuten ließen.

Jeder, dem philosophische Schriften und Dispute auch nur etwas vertraut sind, wird – wie ich – feststellen, dass sie sich zu einem großen Teil mit abstrakten Ideen befassen. … Die Beteiligten gehen stets davon aus, dass diese abstrakten Vorstellungen beim Denken gegenwärtig sind und dass Menschen denkend damit ganz selbstverständlich hantieren können.“ (Berkeley: Principles of Human Knowledge, Introduction VI)

Auf der Grundlage des eigenen Warnehmen entsteht nie so etwas wie ein abschließender Terminus, bzw. keine definitorisch abgeschlossene Bezeichnung. Die analytisch geforderte klare, präzise Sprache ist ein Art Beruhigungsmittel, um diesen Sachverhalt zu verbergen und folgt scholastischen Kriterien, mit denen Verwirrung gestiftet und Philosophie sinnlos wird.  Diese Verwirrung scheint in der Sprache und unseren Vorstellungen zu liegen.

Ich denke, Menschen brauchen … unzulängliche  Vorstellungen, weil sie sich als unzulänglich erleben. Sie produzieren – dem Impuls der Unzulänglichkeit folgend –  … alle ihnen möglichen und gängigen Vorstellungen, um mit anderen einvernehmlich kommunizieren zu können und um so ihre Kenntnisse zu vergrößern. Beides entspricht in hohem Maße menschlichen Bedürfnissen.“ (Ebd. XIII)

Diesen Bedürfnissen hat der Mainstream der Philosophie nie entsprochen. Sie wurden als unstrukturiert vom Philosophieren ausgeschlossen, weil sie nicht zu den geschliffenen philosophischen Termini passten. Auch dieses Verhalten hat eine lange scholastische Tradition.  

Es kann nicht geleugnet werden, dass Worte trefflich dazu dienen, den ganzen Vorrath von Kenntnissen, der durch die vereinten Bemühungen von Forschem aller Zeiten und Völker gewonnen worden ist, in den Gesichtskreis eines jeden Einzelnen zu ziehen und in seinen Besitz zu bringen. Zugleich aber muss anerkannt werden, dass die meisten Theile des Wissens erstaunlich verwirrt und verdunkelt worden sind durch den Missbrauch von Worten und allgemeinen Redeweisen, worin sie überliefert worden sind.“ (Ebd. XXI)

 

Warnehmen ist das Vorhandene

Was ich sehe, ist nur eine Menge von Farben und Licht. Was ich taste ist hart oder weich, warm und kalt, rauh oder glatt usw. Worin besteht die Ähnlichkeit zwischen diesen und meinen Gedanken?“ (PTB § 227)

In Berkeleys Welt erhält man die Antwort durch warnehmen, indem wir die Fragen auf uns wirken lassen, ergeben sich Vorstellungen und Gedanken, aus denen wir Schlussfolgerungen ziehen.

Ein Dichotomist muss die Frage theoriekonform lösen. D. h. der muss die von ihm postulierte Körper-Geist-Teilung überwinden. Dies ist unmöglich.

Berkeleys Antwort liegt außerhalb dieses Systems und sperrt sich gegen eine dichotomische Lösung. Man kam auf die Antwort „Solipsismus“.

Die Behauptung „Berkeley ist ein Solipsist.“ Ist weder in der Sache, noch menschlich zutreffend. Sie macht einen absurden Sinn – darin dürfte die Rolle dieses Urteils liegen -, wenn man dichotomisch denkt (denken muss). Niemand kann  ein Solipsist sein, Menschen leben und handeln miteinander und orientieren sich gemeinsam, sie sind aufeinander angewiesen.

In seiner Tätigkeit als Leiter einer Gemeinde, hat Berkeley es stets für seine Aufgabe angesehen, für sie da zu sein. Z. B. hat er in Zeiten der irischen Hungersnöte für medizinische Versorgung gesorgt, eine lokale Speisung eingerichtet und regelmäßig private Geldmittel zur Verfügung gestellt. [In Irland gab es 1708-10, 1718-21, 1728-30 Typhus- und Hungerepidemien. (Charles Creighton: A History of Epidemics in Britain, Band 2. Cambridge (University Press) 1894, S. 236.)]

Sinn macht, dass die Menschen die Welt existierend erleben, indem sie denken, sehen, fühlen, warnehmen, vorstellen, erinnern …

„Die Existenz unserer Vorstellungen besteht im Wahrgenommen-, Vorgestellt-, Gedacht-werden. Jedesmal, wenn sie vorgestellt werden, oder wenn man sie denkt, existieren sie. Jedesmal, wenn man sie nennt oder sich über sie unterhält, werden sie vorgestellt oder gedacht.“ (PTB § 457)

Bestuerzend und einleuchtend …

 

 

… mit den Aussagen „esse est percipi“ bzw. „esse est percipere“ formulierte Berkeley die beiden Aspekte seines zentralen philosophischen Axioms. Das robuste Vorurteil, dies sei leicht zu kapieren, was vermutlich durch historisch bedingte Selbstverstaendlichkeiten ausgeloest wird, veranlasste mich, dieses Axiom auf eine etwas ungewoehnliche Art und Weist zu erlaeutern. Ich schlage für dieses Axiom in den folgenden Blogartikeln eine Transposition (statt Uebersetzung) vor, die moeglicherweise verdeutlichen kann, was Berkeley damit thematisiert haben koennte.

Dies geschieht um des Philosophierens willen, das vor allem bedeutet zu denken, als etwas zu haben. Philosophische Bildung ist für mich nur in Verbindung mit reflektiertem Handeln eine Bildung, die uns nützt.  

Doch im Vorwege einige Bemerkungen dazu. Ich gehe davon aus, dass dieses Axiom den ausgepraegt individuellen Charakter von Berkeley’s Philosophieren widerspiegelt. Philosophiehistoriker stimmen zumindest darin ueberein, dass dieses Prinzip etwas Einmaliges in der Philosophiegeschichte darstellt. Es bringe, so äußert sich Berkeley selber, sowohl einen „bestuerzenden“ als auch einen„einleuchtenden“ Sachverhalt zum Ausdruck: Fuehlen und Sehen, so Berkeley, sind der Maßstab seines Philosophierens.  Er muesse wohl sehr unachtsam gewesen sein, dieses Prinzip nicht schon frueher entdeckt zu haben, schrieb er vor ca. 300 Jahren in sein Tagebuch. Es sei jedoch philosophisch unverzichtbar, weil sich nur so widerspruechliche und absurde Aussagen vermeiden ließen. (Vgl. Philosophisches Tagebuch, PTB 279 u.394)

Zutreffend ist aber auch: Die Ergebnisse von Fuehlen und Sehen sind immer individuelle Ergebnisse. Was andere fuehlen und sehen, fuehle und sehe ich nicht. (PTB 24 u. 47) So gilt für Berkeley:   „Alles, was ich schreibe oder denke, handelt nur von Dingen, wie sie mir erscheinen.“ (PTB §543) Der Anklang an den Homo-Mensura-Satz des Protagoras (Fr. 1, Diels-Kranz), ist offensichtlich. 

So genau wie moeglich hinsehen auf die Sache, um die es gerade geht, daraus durch Nachdenken eigene Schlussfolgerungen ziehen, das ist die Berkeley’sche Methode des Philosophierens. Sie macht seine verschiedenen Darstellungen interpretatorisch nachvollziehbar. In seiner Schrift „Siris“ laesst sich facettenreich nachlesen, dass dazu auch in der Sache Relevantes anderer Philosophen reflektierend miteinbezogen wird. Der deutschsprachigen Sekundaerliteratur – z. B. Arend Kuhlenkampff und Ernst von Cassirer – ist dieser philosophische Schatz verborgen geblieben. (Vgl. Arend Kuhlenkampff: George Berkeley. Muenchen 1987, S. 42 – 44.)      

Ergaenzend zu seiner Feststellung ein durch und durch eigenstaendig denkender Philosoph zu sein, fuegt Berkeley hinzu, dass ihm jede Art von Autoritaetsglaeubigkeit fremd sei. Er ‚laufe nicht glaeubig hinter einem Großen her’ und teile auch keine Auffassungen, bloß weil sie „eine lange Tradition haben“ oder ‚modern sind’. Im Gegenteil, er verwerfe selber aus gegebenem Anlass eigene Auffassungen, auch wenn er darauf viel Zeit und Muehe verwendet habe. (PTB §465)

Ich schließe daraus, dass jede Objektivierung oder Verabsolutierung seiner Aussagen fragwuerdig ist, was Argumentationsstrukturen in Interpretationen von Berkeley-Texten als unsachgemaeß erscheinen laesst. Wenn man seine Texte nachvollziehen moechte, muessen sie im  Zusammenhang mit seinen Darstellungen und denen anderer, bzw. anderer Zeiten reflektiert werden. Wenn dies ignoriert wird, sind irrtuemliche Interpretationen zu erwarten.  

Selbstverstaendlich lassen sich Verbindungen zu anderen Philosophien ziehen,  wie auch immer diese geartet sein moegen.  Seine Darstellungen lassen sich im Hinblick auf andere klassifizieren und Stroemungen zuordnen. Diese standardmaeßigen Annaeherungen an Berkeley haben den Nachteil, dass Interpretatoren auf Probleme stoßen, die als Widersprueche Berkeleys, Aenderungen bzw. Wendepunkte seiner Sichtweise benannt werden. Ich halte Widerspruechliches und Veraenderungen – wie bei jedem Philosophen – fuer vorstellbar, aber derartige Behauptungen koennen auch ein deutlicher Hinweis auf fehlende Kenntnisse sein. Interpretationsprobleme – so wird in neuester Zeit in der Berkeley-Forschung behauptet – seien Folgen von Unkenntnis der Berkeley-Texte und deren Kontexte in Berkeley’s Gegenwart und Geschichte. (Silvia Parigi (Università di Cassino Ed.): George Berkeley: Religion and Science in the Age of Enlightenment. Heidelberg/London/New York 2010, p. XIV. Die  veroeffentlichten Aufsaetze verbindet Nachdenkliches und neue Forschungsansaetze, die sich aus dem Ungenuegen der „standardmaeßigen Annaeherungen“ ergeben.)

Ich moechte die Darstellungen Berkeley’s  vielseitig betrachten und mich so einem umfassenden Bild seiner Philosophie nähern.

Es gibt etwas, das wahrgenommen wird.

Anstatt „esse est percipio“ mit „Sein ist das, was wahrgenommen wird“ wieder zu geben, habe ich mich fuer die in der Ueberschrift stehende Formulierung entschieden. Ich folge damit sowohl meinem Beduerfnis als auch der Anregung Berkeleys, Woerter und Sprechweisen zu aktualisieren, d. h. sie jeweils so zu waehlen, dass sie meinen Vorstellungen entsprechen. Berkeley hielt es fuer noetig, seinen Sprachgebrauch zu reflektieren. „Da man dem Einfluss von Woertern auf eigene Sichten staendig ausgesetzt ist, egal um welche Vorstellungen es sich dabei handelt, bemuehe ich mich, meine Vorstellungen nackt und blosz zu betrachten, und jene Namen aus meinem Denken zu verbannen, die durch langen und konstanten Gebrauch fest mit bestimmten Vorstellungen verbunden sind.“ (Principles of Human Knowledge, Introduction XXI.) Diese Zurueckhaltung koennte Berkeley fuer „esse est percipio“ auch im Blick gehabt haben. „esse“ ist philosophisch mit Vorstellungen verbunden, die seit Jahrhunderten und Jahrtausenden die Sicht auf moegliche andere Vorstellungen verstellten. Es gibt eine Grundbedeutung von „esse“ – darauf beschraenke ich mich im Moment -, die heiszt ‚vorhanden sein‘. Im Sinne dieser Grundbedeutung notierte ich: „es gibt etwas“. Dies scheint mir fuer den Jargon eines philosophischen Blogs noch angemessener. Es macht m. E. deutlich, dass Berkeley hier nicht vom „Sein“ in einem metaphysischen Sinne spricht und so moeglicherweise im Auge hatte, ontologische Probleme aus Jahrhunderten zu eroertern oder gar seine eigene Ontologie zu entwickeln. Nichts aber liegt ihm ferner.

Berkeley beschraenkte sich auf die Bezeichnung ‚Vorstellung‘ (‚idea‘), wenn er behauptete, es gibt etwas, das wahrgenommen wird.  Vorstellungen werden laut Berkeley zum einen von den Sinnen erzeugt und sie sind zum anderen Produkte unserer Erinnerung und unserer Fantasie. Als Produkte der Sinne sind sie „lebhafter, klarer und staerker, als die Produkte unserer Erinnerung und Fantasie. Sie sind dauerhafter, folgen bestimmten Mustern und sind miteinander verbunden.“ (Principles of Human Knowledge, 30)

Ich nenne ‚Vorstellungen‘ die ‚wirklichen Dinge‘ desjenigen, von dem sie wahrgenommen werden. „Ich bejahe das Vorhandensein jedes Dinges, das ich durch die Sinne oder durch Reflektieren mit einbeziehen kann. Ich stelle nicht in Frage, was ich mit meinen Augen sehe und mit meinen Haenden beruehre. Das, was ich negiere, ist das, was Philosophen ‚Materie‘ oder ‚koerperliche Substanz‘ nennen.“   (Principles of Human Knowledge, 35) Dies duerfte wieder seinem Wunsch entsprechen, sich den verwirrenden Mitbedeutungen von Woertern zu entziehen und stattdessen auf das hinzuweisen, was wahrgenommen werden kann und so vorhanden ist. Er lehnt es ab, statt ‚Vorstellungen‘ ‚Dinge‘ zu sagen, auch wenn er das Wort ‚Ding‘ – wie hier – selber verwendet. „Wie es kommt, dass ich lieber das Wort ‚Vorstellung‘ verwende, anstatt der alltaeglichen Sprechweise zu folgen und wahrnehmbare Kombinationen von Eigenschaften ‚Dinge‘ zu nennen? Dafuer gibt es zwei Gruende: Zum einen wird mit dem Ausdruck ‚Ding‘ im Unterschied zu ‚Vorstellung‘ im Allgemeinen unterstellt, dass das Bezeichnete auszerhalb von mir vorhanden ist. Zum anderen hat das Wort ‚Ding‘ weitergehende Mitbedeutungen als ‚Vorstellung‘. Es wird auf den Koerper erhaltende Lebensgeister oder denkende Dinge genauso wie auf ‚Vorstellungen‘ angewendet. Da aber die Sinnesobjekte nur in mir selber vorhanden sind und weder denken noch sonst aktiv sind, moechte ich sie mit dem Wort ‚Vorstellung‘ kennzeichnen, weil damit die entsprechenden Eigenschaften mit gemeint sind.“ (Principles of Human Knowledge, 39)